Kennt ihr den auch?
Diesen Schrei, der einem durch den ganzen Körper schiesst, der den Herzschlag beschleunigt, das Blut in den Kopf schiessen lässt?
Der Schrei, der immer dann ertönt wenn das Kind etwas nicht bekommt, das es gerne haben möchte. Wenn es wütend und sauer ist, trotzt oder einen pubertären Anfall hat.
Ok. Ihr kennt ihn und wisst wovon ich rede.
Man steht dann jeweils so da, vor einem steht oder liegt das Kind mit diesem Schrei und verschiedene Dinge gehen einem im Kopf herum.
1. Hilfe! Wem gehört dieses Kind?
2. Wo hat es ein schwarzes Loch, in dem ich versinken kann?
3. Ich brauche ein Stück Holz, zum drauf beissen.
4. … oder einen Schnaps.
5. Die nächsten 40 Minuten sind gelaufen.
6. Atmen, ruuuhig atmen.
7. _____________ hier ein beliebiges Schimpfwort einsetzen
Und wie immer in solchen Situationen tut man genau das Falsche, nämlich:
1. Ganz laut auf das Kind einreden und sagen, wie daneben es sich benimmt.
2. Ihm die unmöglichsten Drohungen an den Kopf werfen. Wie z.B: 2 Wochen Fernsehverbot, den ganzen Tag im Bett verbringen zu müssen, ihm alle Spielsachen wegzuschmeissen, den Nikolaus anzurufen, das geplante Geburtstagsfest abzusagen, nie mehr eine Geschichte vorzulesen.
Es sei denn, es hört jetzt sofort auf zu schreien.
3. Das Kind fest am Arm packen und es anbrüllen und sagen, es solle jetzt aufhören so zu brüllen.
4. Es aus lauter Wut und Frust auf den Po hauen oder an den Haaren ziehen, in der Hoffnung es würde sich dann beruhigen. *sehrsehrunwahrscheinlich
5. Das Kind als Person kritisieren und Dinge sagen wie: “Du bist heute wieder unmöglich. So ein Trotzkopf. Mit dir muss man sich ja schämen, du bist so ein Egoist, wenn es nicht nach deinem Kopf geht, fängst du einfach an zu schreien.”
5. Gar nix sagen, die Augen verdrehen und ohne Kommentar weggehen.
Und dann denkt man sich jeweils: Wie war das nochmal in diesem Erziehungsbuch von Doktor/Professor Erziehungsexperte xy? Dort ist das doch so schön beschrieben, wie man ruhig bleiben und sich nicht provozieren lassen soll. Das klang doch so logisch und einfach und jetzt steh ich hier brüllend und mit rotem Kopf, neben meinem Kind, ebenfalls brüllend mit rotem Kopf.
Wie um Himmelswillen soll und kann man denn in solchen Situationen ruhig bleiben?
Ich sag euch was:
Manchmal kann man es einfach nicht. Auch wenn alle Bücher immer das Gegenteil behaupten. Man ist stinksauer, wütend und es ist einem oft auch peinlich. Man verliert den Überblick über die Situation, man fühlt sich hilflos, in eine Ecke gedrängt, nicht mehr Herr oder Frau der Lage und man braucht alle Kraft und Energie nur dazu, um seine Gefühle unter Kontrolle zu haben, damit man hier nicht gleich wie eine Rakete in die Luft geht.
Genau diese Energie und Kraft braucht man aber eigentlich um die Situation zu klären und das Problem zu lösen.
Damit ihr in Zukunft vielleicht etwas weniger in diese Brüll- und Schreiattacken verwickelt werdet, kann ich euch folgende Tipps geben:
1. Gut vorausplanen
Überrascht eure Kids (egal wie alt sie sind) nicht mit euren Anweisungen. Sagt ihnen früh genug, wohin ihr geht, womit, wie lange, was ihr dort tut, wann ihr wieder nach Hause geht. Gehen sie am nächsten Tag z.B Schlittschuh laufen, dann besprecht schon am Abend vorher mit ihnen, WAS sie denn mitnehmen müssen. Welche Alternativen gibt es zur hässlichen Skihose, die einen nur “dick macht”, braucht man einen Helm und warum, welche Tasche nimmt man mit? usw.
Gute Vorbereitung und gutes Vorausplanen ist die halbe Miete ich sag’s euch.
Immer wenn ihr in einen Trotz-Schrei-Brüll- oder Pubertätsanfall verwickelt seid, überlegt euch jeweils rasch:
Hab ich wirklich gut vorausgeplant oder meine Kids jetzt grad mit meinen Anweisungen überrascht? Meistens müsst ihr diese Frage mit “JA” beantworten…
2. Nicht einfach nur “NEIN” sagen
Ein “nacktes” Nein erzeugt immer Frust und Wut, sprich einen Trotzanfall. Oft ist es ja auch so, dass gewisse Sachen nicht grundsätzlich verboten sind.
Mit Wasser spielen JA – aber draussen.
Mit dem Ball spielen JA – aber im Garten.
Ein Eis essen JA – aber nach dem Essen.
Bietet Kinder immer mal wieder Alternativen an und “verkauft” ihnen diese gut. In vielen Fällen ist es auch hilfreich, wenn ihr 2 Auswahlmöglichkeiten bietet. “Willst du mir die Hand geben oder selber laufen?”
3. Ablenken
Wenn ihr merkt, dass die Kinderlein unzufrieden, mürrisch, launisch, müde, hungrig, unmotiviert sind, lenkt sie ab. Sprecht von einem spannenden Thema, verwickelt sie in eine Tätigkeit, lasst sie mithelfen, irgendwo irgend einen Knopf drücken, etwas holen, einschenken, Kaffee machen. Sprecht über lustige Begebenheiten, über Farben, Formen oder über das was ihr jetzt dann grad noch so im Sinn habt. Seid fantasievoll und macht das auch ein bisschen mit Humor. Singt Lieder, erfindet lustige Figuren, sprecht mit lustiger Stimme, zaubert, macht ein Wettrennen und lasst euch etwas einfallen.
4. Ignorieren
Ignoriert Gejammer, Gemotze oder Scheisslaunen. Geht nicht darauf ein, lasst euch da nicht mit rein ziehen. Wendet Punkt 2 an und wenn ihr dafür grad keine Nerven habt, lasst die Kids einfach einen Moment in Ruhe und sagt ihnen kurz warum: “Es ärgert mich jetzt grad ziemlich, dass du so mit mir sprichst. Ich lasse dich jetzt einen Moment und komme dann später wieder zu dir.”
So lange kein Geschirr, keine Spielsachen, Blumentöpfe oder Stereoanlagen durch die Gegend fliegen, euch die Kinder nicht hauen oder ins Bein beissen, könnt ihr solche auch Wutanfälle ignorieren.
Je mehr ihr nämlich darauf eingeht, schimpft, kommentiert, predigt, kritisiert, umso mehr Aufmerksamkeit schenkt ihr diesem Verhalten, das ihr ja eigentlich nicht möchtet.
5. Eine Auszeit nehmen
Wenn es wirklich mal so richtig ausarten sollte, (mit diesen Tipps sollte das fast nicht mehr der Fall sein… :-), lasst euren Kids einen Moment Zeit um “runter zu kommen”. Schimpft nicht mit ihnen, sondern lasst sie in einem Zimmer (z.B in euerm Schlafzimmer, Gästezimmer) sich kurz beruhigen. Auszeiten sind dann sinnvoll, wenn man selber so auf 180 ist, dass die Gefahr besteht, das Kind anzuschreien oder zu verletzen.
Zu diesem Thema, habe ich auch schon mal ein ausführliches Video gemacht. Ihr findet es hier.
6. Die vergangene Situation nicht wieder “aufwärmen”
Hat sich das Kind und die Situation wieder beruhigt, dann wärmt das Vergangene nicht unnötig wieder auf. Sagt eurem Kind nicht die nächsten drei Stunden, was es vorhin alles falsch gemacht hat, dass es nun auch keinen Nachtisch bekommt, dass es böse war, dass ihr traurig seid usw.
Hat es sich beruhigt, dann helft ihm, wieder zurück ins Spiel/in die Situation zu finden und lasst den Vorgang erst einmal vergessen sein.
Wenn ihr ständig und in den gleichen Situationen zusammen Ärger habt, dann kann es sinnvoll sein, in einer ruhigen Minute mal zusammen ein paar Regeln und Abmachungen aufzuschreiben.
7. Keine Panik!
Kinder müssen trotzen, sie dürfen wütend sein, sich ärgern und uns Eltern auch immer mal wieder sehr blöd finden. Das ist normal und kommt in ALLEN Familien vor. Wenn euer Kind das also auch tut, dann ist das nichts Aussergewöhnliches. Ihr seid nicht schlechte Eltern und euer Kind ist nicht ein unmögliches Kind. Es gehört zur Entwicklung dazu, die Frage ist einfach, wie wir damit umgehen. Habt ihr’s verbockt, wieder mal genauso reagiert, wie ihr eigentlich nicht reagieren wolltet, dann macht euch ebenfalls nicht zu viele Sorgen. Überlegt euch einfach: Was ist schief gelaufen, was hätte ich anders machen können/sollen? Und genau DAS, nehmt ihr euch fürs nächste Mal dann vor.
Denn:
Der nächste Brüll-Schrei-Trotz- Pubertätsanfall kommt bestimmt. :-)